alexandra

Das Alexanderplatz und die drei Wälder

27. Februar 2025

“Rumm rumm wuchtet vor Aschinger auf dem Alex die Dampframme. Sie ist ein Stock hoch, und die Schienen haut sie wie nichts in den Boden. Eisige Luft. Februar.» So beginnt das fünfte Buch des Berlin Alexanderplatz. Dabei kann das Buch zur modernen Literatur gezählt werden. Durch den Erzählstil, mit der allwissenden Erzählinstanz, die die Leser*innen direkt anspricht; die collageartige Handlung mit Zeitungsartikel, Wettervorhersagen und den zahlreichen Beschreibungen des Alexanderplatzes; durch den Berliner Dialekt, der den Alexanderplatz noch lebendiger macht; den Einschüben wie die Schlachthofszenen…

Im Unterricht haben wir uns angeschaut, inwiefern das Buch und der Film Berlin Alexanderplatz moderne Erzählungen sind. Wüsste ich nicht, wann das Buch geschrieben worden ist, hätte ich an ein Werk des späteres 20. Jh. oder sogar 21. Jh. gedacht, auch dank der vorher erwähnten modernen Aspekte. Indem diese wirre Art von Erzählen mit Schemen, Formeln und Beschreibungen weggelassen worden ist in der Verfilmung, wirkt der Film sehr traditionell, insbesondere im Vergleich mit dem Buch. Da die Hiob-Geschichte und die Hure Babylon zumeist in Film nicht als Themen betrachtet werden, verliert der Film teilweise die Essenz des Buches, was beim Zuschauen auffällt, falls man sich mit dem Buch auseinandergesetzt hat… Mit diesen Gedanken im Kopf habe ich mir die Frage gestellt: wie würde das Berlin Alexanderplatz als traditioneller Text aussehen? Ich habe mich entschieden nicht nur ein Teil des Buches umzuschreiben, aber es auch ein Schritt weiter zu nehmen und ein Märchen, eine sehr traditionelle Art des Erzählens, basierend auf dem Buch zu erfinden. Franz Biberkopf ist ein Prinz, der von dem König weggeschickt wird. Er wächst auf seiner Reise als Person und erlebt eine Wiedergeburt, und fängt sein Leben neu an als verbesserte Person.


Es war einmal ein Prinz. Er wohnte in einem grossen Schloss mit seinen Eltern, dem König und der Königin. Er hatte alles, was er sich erdenken konnte: mehr Geld, als er sich vorstellen konnte, mehr Räume, als er zählen konnte, und alles zu essen, was er sich wünschen konnte. Er war sich jedoch nicht bewusst, was er alles zu schätzen hatte. Er war respektlos, temperamentvoll, nichts gefiel ihm. Deshalb verbrachte er viel Zeit weg von zu Hause.

Eines Tages passierte etwas so Fürchterliches und so Schlimmes, dass der König ihn wegschicken musste. Er schickte den Prinzen in das Nachbarkönigreich, wo er Zeit verbringen und nachdenken konnte. Der Prinz sah es als Bestrafung. Ohne viel dagegen sagen zu können, akzeptierte er es. Er nahm sein Ross mit, Essen für sieben Tage und eine Decke zum Schlafen für die sieben Nächte, und machte sich auf dem weg.

Er musste drei Wälder queren, der erste aus Bronze, der zweite aus Silber und der dritte aus Gold. Als er den ersten Wald betrat, sah er, dass alle Bäume und Pflanzen, je nach Lichteinfall ihre Farbe änderten – mal weiss und golden, dann dunkel und rot. Jetzt, dass er allein mit seinen Gedanken war, überlegte er, dass er auf dieser Reise sogar eine Prinzessin finden könnte, was seine Laune deutlich verbesserte. Er stieg von seinem Ross ab, um ihm eine Pause zu geben. Plötzlich bemerkte er, wie blendend das Licht war. Die Bäume reflektierten das Sonnenlicht, und alles sah rötlich und magisch aus. Doch so schön wie sie aussahen, bemerkte der Prinz nicht, dass er verfolgt wurde. Hinter ihm tauchte ein Drache auf, so gross wie die Bäume um ihn herum und schmerzhaft anzuschauen, da er ebenfalls aus Bronze gemacht war. Der Prinz versuchte, mit seinem Schwert zuzuschlagen, doch er sah nichts. Er probierte, mit dem Ross wegzurennen, doch genau in diesem Moment schlug der Drache nach dem Prinzen. Er konnte ausweichen, doch der Schlag tötete das Ross. In diesem Moment konnte er loslassen, wegrennen und sein Leben retten.

Weiterlaufend trauerte er um den Verlust seines Rosses. Er verstand nicht, wie es passieren konnte, dass er den Drachen weder hören noch sehen konnte. Er überlegte, nach Hause zu kehren, aber er musste weiter. Er trat in den zweiten Wald ein. Dieser war komplett aus Silber. Alle Bäume hatten dünne graue Blätter, die das weissen Licht reflektierten. Es sah aus, als wäre der ganze Wald in glitzernden Schnee zugedeckt. Der Prinz lief weiter durch den Wald. Als die Sonne endlich rot wurde und die Schatten im Wald länger wurden, legte sich der Prinz auf seine Decke und schlief ein. Doch in der Nacht wachte er auf – er spürte, dass er nicht allein war. Er zog sein Schwert, um diesmal auf einen Kampf vorbereitet zu sein. Ein silbernen Drache bewegte sich langsam auf ihn zu, zwischen den Bäumen hindurch. Der Prinz stand auf und griff an. Nach einer Ewigkeit begann der Prinz zu ermüden. Er konnte kaum noch seinen Arm heben, um sich zu schützen. Der Drache nutzte diese Gelegenheit und schlug ihn am Arm. Obwohl der Prinz nicht tot war, liess der Drache ihn gehen, unter der Bedingung, dass er sofort den Wald verlässt.

Der Prinz, ohne Motivation und nur mit einem brauchbaren Arm, lief langsam weiter, erschöpft und müde. Wieder überlegte er, nach Hause zu kehren. Er lief jedoch weiter. Er trat in den dritten Wald ein. Das Gras, die Blumen, die Bäume – alles war aus Gold. Er schaute sich um und konnte seinen Augen nicht trauen. Er dachte sich, dass er Äste mitnehmen sollte auf seinem Heimweg, um sie danach zu verkaufen. Sie müssten sehr wertvoll sein. Er ging weiter und spürte, dass etwas nicht stimmte. Er war bereits in den beiden vorherigen Wäldern angegriffen worden. Er musste sich also auf einen dritten goldenen Drachen vorbereiten, der diesen Wald sicher bewachte. Und ohne zu zögern, wurden seine Vermutungen bestätigt. Vor ihm stand ein riesiger Drache – grösser als jedes Tier, das er jemals gesehen hatte. Ohne lange zu warten, begannen die beiden zu kämpfen: der Prinz mit seinem linken Arm, der Drache mit aller Energie, die er hatte. Der Prinz hatte keine Chance, doch er kämpfte trotzdem. Mit einem Schlag wurde plötzlich alles dunkel.

Er wusste nicht, ob er tot war, wo er sich befand oder wie er hiess. Er sah, hörte und fühlte nichts. Er konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, ob er jemals einen Körper gehabt hatte. Das Einzige, was noch existierte, war sein Bewusstsein. Es fühlte sich an, als würde er eine Ewigkeit in diesem Zustand verbringen. Plötzlich blendete ihn ein Licht – es war alles so hell und laut. Er fühlte sich schwer und bemerkte, dass er seine Arme und Beine wieder spüren konnte. Die Geräusche, die ihn störten, waren Vogelgesänge. Er öffnete seine Augen und sah weisse Wolken sowie Bäume, deren Schatten auf seinem Gesicht tanzten. Rechts von ihm sass eine wunderschöne Prinzessin. Sie hatte den Prinzen dort gefunden und wusste nicht, woher er kam. Er fühlte sich wie neugeboren – als hätte er in einer einzigen Nacht dreissig Jahre erlebt. Alle Beschwerden und Ängste hatte er im Wald zurückgelassen.

Er stand auf und folgte der Prinzessin. Er blieb dort mit ihr, heiratete sie und lebte den Rest seines Lebens so, wie er es sich immer erträumt hatte.

Bild Quelle: https://www.istockphoto.com/photos/golden-forest